50plus auf Jobsuche

Eine Generation auf dem Abstellgleis? Mitnichten.

Wer über 50 ist, ist in der Arbeitswelt abgeschrieben, so die gängige Meinung. Fakt ist gleichzeitig, dass die über 55-Jährigen die am schnellsten wachsende Altersgruppe im Schweizer Arbeitsmarkt sind. Bei einem Jobverlust finden sie allerdings meist länger keine neue Stelle als die jüngere Konkurrenz. Das hat unterschiedliche Gründe. Das Alter spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Text und Illustration: Iwon Blum, August 2018, Zeitschrift «blickwinkel»;

Wenig charmante Wortschöpfungen wie «Altersguillotine» oder «Killerkriterium Alter» verfehlen ihre Wirkung nicht. So fürchten drei von vier befragten über 50-Jährigen, bei der Jobsuche wegen ihres Alters diskriminiert zu werden, wie die Studie «Segment 50plus» der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und des Beratungsunternehmens Tamandua zeigt, für die im November 2017 in der Deutsch- und Westschweiz rund 500 Berufstätige zwischen 50 und 65 Jahren befragt wurden. 

Die Frage, ob der Schweizer Arbeitsmarkt altersfeindlich sei, ist häufig Gegenstand emotionsgeladener Diskussionen, sowohl in Politik und Medien wie auch in Firmen und an Stammtischen. Je nach Perspektive bieten sich andere Schlussfolgerungen an, wie existent die Altersdiskriminierung denn nun wirklich sei und wer dagegen was zu unternehmen habe.

Das sagen die Zahlen
Die offiziellen Zahlen zur Situation der über 50-jährigen Arbeitskräfte in der Schweiz ergeben ein recht unaufgeregtes Gesamtbild: Personen zwischen 55 und 64 sind demnach verglichen mit jüngeren Altersgruppen sogar weniger häufig von Entlassungen beziehungsweise Arbeitslosigkeit betroffen. Dies zeigen über die letzten Jahre sowohl die Zahlen über arbeitslos gemeldete Personen des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO als auch die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) zur Erwerbslosigkeit gemäss ILO (International Labour Organization), die anders als die Zahlen des SECO auch erwerbslose Personen berücksichtigt, die nicht als stellensuchend gemeldet sind.

Die Erwerbslosenquote gemäss ILO der 55- bis 64-Jährigen im Zeitraum 2010 bis 2017 im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt aller Altersgruppen. 2017 lag die Erwerbslosenquote von 55- bis 64-jährigen Personen bei 3,8% und damit um einen Prozentpunkt unter dem Gesamtwert von 4,8%.

Nachdem der letzte Jahrgang der geburtenstarken Babyboomer-Generation (siehe Infobox) in diesem Jahr das 50. Altersjahr erreicht hat, sind die über 55-Jährigen zudem die am schnellsten wachsende Altersgruppe im Schweizer Arbeitsmarkt. So stieg die Arbeitsmarktbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen in den letzten 20 Jahren von 64 auf 73 Prozent an. Gemäss Erhebungen des SECO hat bereits heute jeder fünfte Erwerbstätige in der Schweiz das 55. Lebensjahr überschritten. Damit gehört die Schweiz im internationalen Vergleich zu den Ländern mit einer der höchsten Erwerbstätigenquoten bei den 55- bis 64-Jährigen. Nur in Island, Neuseeland, Schweden und Norwegen gehen noch mehr über 55-Jährige einer Erwerbstätigkeit nach.

Diese statistischen Erhebungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass für Arbeitnehmende über 50 kein genereller Grund zur Sorge besteht – sofern sie die Stelle nicht doch verlieren. Denn die Statistiken zeigen auch, dass ältere Personen nach einem Jobverlust mehr Mühe haben als jüngere, wieder eine Anstellung zu finden, und dass die Dauer der Arbeitslosigkeit im Alter zunimmt. So war im Jahr 2016 ein Viertel aller beim RAV gemeldeten Arbeitslosen 50-jährig oder älter. Unter den rund 24 000 Langzeitarbeitslosen liegt der Anteil der Personen ab 50 Jahren allerdings auf über 40 Prozent. Auch die Wahrscheinlichkeit, nach einer Aussteuerung wieder einen Job zu finden, sinkt mit zunehmendem Alter. 

Das sagen die Experten
«Laut CS-Sorgenbarometer 2017 liegt die Sorge, den Job zu verlieren, nach der Sorge um die Altersrente bei den Befragten an zweiter Stelle. Viele Personen zwischen 50 und 60 haben unbewusst wahnsinnige Angst, nie wieder einen Job zu finden. Dieses Phänomen findet sich auch bei Jüngeren», sagt Hedy Bühlmann, Coach für hochqualifizierte Stellensuchende bei FAU – Fokus Arbeit Umfeld. Die Non-Profit-Organisation führt seit 1995 Qualifizierungsprogramme für Stellensuchende durch, bietet Dienstleistungen für berufliche Neuorientierung und Weiterbildung an und ist auch Herausgeber dieser Publikation.

Die 60-jährige Beraterin macht bei ihrer Coachingarbeit allerdings die Erfahrung, dass gerade diese Angst zur Falle werden kann: «Wenn jemand davon ausgeht, der Zug sei für ihn sowieso abgefahren, schlägt sich das auf seine Haltung und sein Auftreten nieder – da muss er aufpassen, dass diese Angst nicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.» Erst recht werde nach einem Stellenverlust die resignierte Haltung «Ich kann nichts, ich bin nichts, ich habe sowieso keine Chance» zum Bumerang, warnt die erfahrene Coach.

Die oftmals aufwühlende Verarbeitung des Stellenverlusts sei denn auch einer der Gründe, warum ältere Arbeitnehmende länger bräuchten, wieder Fuss zu fassen, erklärt auch der 63-jährige Coach ALV und Fachverantwortliche FAU-Coaching bei FAU – Fokus Arbeit Umfeld, Wolfgang Gerteisen: «Für ältere Menschen ist die letzte Trennung meist ein grosses, aber oft verdrängtes Thema.» Während für jüngere Erwerbstätige ein Stellenwechsel alle drei bis vier Jahre heute zur normalen Laufbahngestaltung gehöre, gingen viele über 50 davon aus, bis zur Pensionierung im Job zu bleiben. «Wenn das dann nicht klappt, stellen sich häufig Frustrationen oder menschliche Enttäuschungen ein, das wiegt auf verschiedenen Ebenen besonders schwer», so Gerteisen. Zurückzuschauen sei wichtig: Was war und warum? Beide FAU-Coaches machten jedoch die Erfahrung, dass Stellenbewerbende erst wieder Erfolg haben, wenn sie mit vergangenen Enttäuschungen abschliessen und sich wieder bewusst machen, dass sie einen hohen Wert auf dem Markt haben. 

Berufserfahrung und Branchenkenntnisse sind wertvoll
Apropos «Wert auf dem Markt»: Und was ist mit Vorurteilen mancher Arbeitgeber gegenüber älteren Bewerbenden, deren Dossiers mutmasslich oft allein aufgrund des Jahrgangs aussortiert werden? Wolfgang Gerteisen rät, mögliche Vorbehalte gegen das Alter während eines Bewerbungsprozesses zu thematisieren. So gelten ältere Mitarbeitende zum Beispiel schon allein wegen der gesetzlich vorgeschriebenen höheren Pensionskassenbeiträge als teuer und somit unattraktiv für ein Unternehmen. Gerteisen hält dagegen: «Ich denke, das ganze finanzielle Thema wird überbewertet. Die berufliche und menschliche Erfahrung, das Fachwissen und die Branchenkenntnisse sowie die Sozialkompetenz, die der ältere Mitarbeitende in der Regel mitbringt, bringen dem Arbeitgeber mehr, als ihn die höheren Pensionskassenbeiträge kosten.» So wird ein älterer Mitarbeitender mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Fehler machen als ein jüngerer, unerfahrener – einfach, weil er sie alle schon gemacht und daraus gelernt hat. Und je höher die Position, desto teurer seien Fehler für den Arbeitgeber. «An diesen Aspekt darf ein älterer Stellensuchender einen potenziellen Arbeitgeber durchaus erinnern», so Gerteisen.

Auch die Annahme vieler Arbeitgeber, ältere Bewerbende verlangten automatisch mehr Lohn, sei ein Thema, das angesprochen werden dürfe. «Oft sind Stellensuchende bereit, einen Schritt zurück zu machen, also eine weniger anspruchsvolle Stelle als die vorherige anzutreten und entsprechende Lohneinbussen zugunsten von zum Beispiel weniger Stress hinzunehmen», weiss Hedy Bühlmann aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Stellensuchenden. «Doch das muss glaubhaft vorgebracht werden, damit der Arbeitgeber nicht fürchten muss, der Mitarbeitende sei bei nächster Gelegenheit wieder weg.»

Denn wer eine Stelle zu besetzen hat, hat im Prinzip ein Problem – und dieses will ein Arbeitgeber möglichst schnell, aber auch für die nächsten fünf bis zehn Jahre gelöst haben. Hier könne der ältere Stellenbewerbende einen weiteren Pluspunkt für sich ins Spiel bringen, so Gerteisen: Loyalität. «Ein über 55-Jähriger wird das Unternehmen kaum nochmals wechseln wollen, ein deutlich Jüngerer hingegen wird nach wenigen Jahren gehen, weil er Karriere machen will.»

Strategisch vorgehen und Initiative zeigen
Allerdings verfolgten über 50-Jährige laut den beiden FAU-Coaches die falsche Strategie, wenn sie sich nur auf ausgeschriebene Stellen bewürben. «Kann das vielversprechend sein, sich für einen Job zu bewerben, auf den sich 100 oder 200 andere auch bewerben?», fragt Bühlmann. Zu einem gewissen Grad sei nachvollziehbar, wenn überlastete HR-Mitarbeitende bei so vielen Bewerbungen nach dem Schnellverfahren aussortieren, bei dem dann eben der Jahrgang, ein unvorteilhaftes Profilbild oder nur schon das Layout eines Lebenslaufs zum Entscheidungskriterium werden können, wer weiterkommt und wer nicht – noch bevor auch nur ein Satz des Bewerbungsschreibens gelesen wurde. So ist auch Gerteisen überzeugt: «Wer sich als über 50-Jähriger nur reaktiv auf ausgeschriebene Stellen bewirbt, wird wohl viele frustrierende Erlebnisse haben.» 

Für über 50-Jährige sei darum die Initiativbewerbung das Mittel der Wahl. «Als älterer Stellensuchender muss ich nach aussen treten, mir genau überlegen, was ich dem Markt anbieten kann. Dabei hilft ein durchdachtes Kompetenzprofil», betont Gerteisen. Wer über 50 ist, habe im Normalfall im Laufe seines Lebens sehr viele Kompetenzen erworben – häufig sei er sich deren aber gar nicht bewusst. 

Als Nächstes sei zu klären, wem der Stellensuchende seine Kompetenzen anbieten möchte. Dafür müssten potenzielle Arbeitgeberfirmen genau analysiert werden, wobei der Besuch der Firmenwebsite nicht genüge. Vielmehr sollte der Stellensuchende recherchieren: Vielleicht habe der CEO des Unternehmens kürzlich irgendwo einen Vortrag gehalten, wie sich die Firma weiterentwickeln möchte, welche Ziele angestrebt werden. Und dann sollte sich der Bewerbende gut überlegen, wie er als potenzieller Mitarbeitender konkret dazu beitragen könnte. «Natürlich ist eine Initiativbewerbungskampagne wesentlich aufwendiger, als sich reaktiv zu bewerben. Aber sie bringt auch einen riesigen Vorteil: Ich bin alleine, statt mich mit 100 anderen um dieselbe Stelle zu streiten», meint Gerteisen.

Aber wäre das nicht ein grosser Zufall, mit diesem Vorgehen einen Treffer zu landen, wenn das Unternehmen gar keine Stelle ausgeschrieben hat? Wolfgang Gerteisen: «Vielen ist nicht bewusst, dass 70 bis 80 Prozent der Stellen in der Schweiz gar nie ausgeschrieben werden. Wenn ich auf diesen verdeckten Stellenmarkt verzichte, vergebe ich einen Grossteil meiner Chancen.»

Aktive Selbstvermarktung
In diesem Zusammenhang sei auch das persönliche und berufliche Netzwerk nicht zu unterschätzen, das kontinuierlich gepflegt und erweitert gehöre, wie die beiden Coaches Bühlmann und Gerteisen betonen. Dazu gehören auch Plattformen wie Xing und LinkedIn, die heute bei Stellenbesetzungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Oder Foren und Fachgruppen, in denen Kontakte geknüpft und Wissen ausgetauscht werden. So bleibe man nicht nur im Wortsinne im Gespräch, sondern bekomme auch mit, was sich in der angestammten Branche tut und welche Fertigkeiten heute gefragt sind. Denn auch dieser Aspekt werde leider häufig unterschätzt: lebenslanges Lernen. «Die Jobsuche wird natürlich schwierig für einen Bewerbenden, wenn aus seinem Lebenslauf hervorgeht, dass er seit zehn Jahren keine Weiterbildung gemacht hat», sagt Bühlmann. «Schonungslose Ehrlichkeit ist nötig, um sich klarzumachen, wo man überhaupt steht: Reicht das denn fachlich in dieser schnelllebigen Zeit überhaupt noch? Oder ist weiteres Know-how nötig?»

Gerteisen und Bühlmann betonen beide, jeder sollte sich im Klaren sein, dass sein Job nicht sicher ist – nichts sei für immer. Darum sollten Arbeitnehmende immer wachsam bleiben, wie das eigene Unternehmen und die Branche sich entwickeln, und sich fragen, was sie selber brauchen, um mithalten zu können. 

«Wenn mich jemand fragt, wie ein Mitarbeitender oder Stellenbewerbender heute sein muss, um im Markt bestehen zu können, würde ich als erstes Kriterium die Fachkompetenz und nicht das Alter sehen», so Bühlmann. «Wichtiger sind Neugierde und Veränderungswille sowie Offenheit und Flexibilität für neue Modelle wie befristete Projekte, mehrere parallel verlaufende Mandate, Jobsharing, Aufträge über Zeitfirmen. Ich muss Trends erkennen können. Ich muss sie zwar nicht unbedingt mitmachen – aber wenn ich sie nicht mitmache, hat das Konsequenzen. Darüber muss ich mir einfach klar sein.» 

Apropos Trends: In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren wird die Differenz zwischen Pensionierungen und Einsteigern in den Arbeitsmarkt so gross, dass hierzulande je nach Prognose 300 000 bis 400 000 Leute auf dem Arbeitsmarkt fehlen werden. Die Wirtschaft ist also auch auf ältere Arbeitnehmende angewiesen. Und nicht zu vergessen: Auch Personalverantwortliche werden älter.

Babyboomer

Ein Boom und seine Folgen

Als Generation Babyboomer werden die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit bezeichnet. In der Schweiz sind das die Jahrgänge von 1946 bis 1968, die heute zwischen 50 und 72 Jahre alt sind. 

Vor dem Babyboom hatten Frauen in Industrienationen kontinuierlich weniger Kinder bekommen. Das Phänomen des Babybooms – also ein sprunghafter Anstieg der Geburtenraten – trat in vielen westlichen Nationen auf, jedoch hinsichtlich Beginn und Dauer sowie Ausprägung sehr unterschiedlich: Während der Babyboom in der Schweiz 22 Jahre dauerte, war er zum Beispiel in Italien nach nur vier Jahren (1946 bis und mit 1949) vorbei. In anderen Ländern wiederum begann er erst in den Fünfzigerjahren, etwa in Belgien und Deutschland. 

Durchschnittlich dauerte der Babyboom in Europa rund 13 Jahre und fand sein Ende aufgrund der zunehmenden Verbreitung der Antibabypille Mitte der Sechzigerjahre mit dem sogenannten Pillenknick.

In der Schweiz machten die während des Booms geborenen Babys am Ende der geburtenstarken Phase über einen Drittel (36,8 Prozent) der Bevölkerung aus.

In den meisten Ländern ziehen sich die Babyboomer-Jahrgänge altersbedingt seit 2011 laufend aus dem Erwerbsleben zurück, so auch in der Schweiz. In Deutschland oder Österreich tritt dieser Effekt erst ab 2021 ein.

Unabhängig von Dauer und Ausprägung des Booms wird sich jedoch in allen Babyboom-Ländern die Altersstruktur massiv verschieben, was zunächst für den Arbeitsmarkt und in der Folge für die Rentenleistungen neue Ausgangslagen und Herausforderungen schafft. 

Coaching

FAU bietet Unterstützung

FAU – Fokus Arbeit Umfeld ist eine Non-Profit-Organisation, die seit 1995 im Auftrag des SECO Qualifizierungsprogramme für hochqualifizierte Führungskräfte und Fachspezialisten sowie Medienschaffende durchführt. Als Kompetenzzentrum fördert FAU die Arbeitsmarktfähigkeit, die berufliche Integration und die Diskussion um arbeitsmarktliche Themen. FAU gibt auch die Zeitschrift «blickwinkel» heraus.

Rund 600 Stellensuchende holen sich jedes Jahr bei FAU Unterstützung, um sich im Arbeitsmarkt neu zu orientieren und zu positionieren. Im Schnitt finden knapp 80 Prozent der Teilnehmenden während oder nach dem Programm eine neue Anstellung. Die Zahl der über 50-jährigen Teilnehmenden ist in den letzten Jahren stabil bei rund 38 Prozent geblieben. Die Stellenantrittsquote entspricht in dieser Altersgruppe etwa dem Durchschnitt aller Altersgruppen.

FAU bietet seine Coaching- und Weiterbildungsmöglichkeiten seit 2015 auch Führungskräften und Kadermitarbeitenden sowie Unternehmen in Veränderungsprozessen an. Weitere Infos zum Angebot finden Sie unter www.fau.ch

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