Die Berner Stadtregierung will «die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter konsequent verwirklichen» – was hat das für Konsequenzen?
Die Stimmung war unbeschwert fröhlich gewesen, bis Vereinsmitglied Schellenberger beim Traktandum «geschlechtsneutrale Sprache» monierte, in ihrem Klub, der Herrliberger Frauenrugbymannschaft, komme die verbale Weiblichkeit zu kurz.
Sie habe den neuen Sprachleitfaden der Berner Stadtregierung studiert, der «die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter konsequent verwirklichen» will, indem unter anderem Begriffe wie «Mannschaft» durch geschlechtsneutrale wie «Team» ersetzt werden. Frau Schellenberger meinte, sie fühle sich nun nicht länger wohl dabei, als Mitglied einer Mannschaft an einer Generalversammlung in einem Wirtshaus teilzunehmen, und aus Herrliberg werde sie auch wegziehen. Aber sicher nicht nach Männedorf. Schluss mit Unterdrückung.
Das Schweigen, das folgte, war betreten. Frau Buschhorn reagierte als Erste und tätschelte voller Anteilnahme Frau Schellenbergers Hand: «Dann trifft sich unser Team künftig zur Hauptversammlung in einer Beiz.» Frau Schmied merkte leicht genervt an, sie wünsche künftig aber nicht als Frau Metallverarbeitungsfachkraft angesprochen zu werden.
Frau Schellenberger, die als sprachlich Zukurzgekommene sowieso schon mit den Tränen kämpfte, bestand darauf, ernst genommen zu werden: «Ich habe einfach genug davon, als Frau immer nur ‹mitgemeint› zu sein.» Was wiederum Frau Kellerhans spitzfindig werden liess: «Wenn es im zehnten Gebot heisst: ‹Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib› – fühlt frau sich da auch mitgemeint, oder gilt ‹du› nun als radikal-sexistisch?» Und nicht etwa aus Bösartigkeit, sondern einfach mangels Feingefühls trat Frau Iseli gleich nach: «Mich stört es auch nicht, dass Schiller schrieb: ‹Alle Menschen werden Brüder.›»
Von der katholischen Kirche war sie nichts anderes gewohnt, doch als Frau Schellenberger gewahr wurde, dass auch der grosse deutsche Dichter sie quasi zum Unmenschen erklärt hatte, wurde sie sehr blass. Frau Buschhorn, die noch immer ihre Hand hielt, blickte denn auch strafend zu Frau Iseli, die sich fest vornahm, nächstes Mal einfach die Klappe zu halten.
«Wäre jemand so freundinlich?»
Frau Siegrist wiederum, die auch auf dem Spielfeld gern aus dem Hinterhalt angreift, machte sich auf, das Patriarchat zu schleifen: «Wäre dann jemand so freundinlich, mir eine Tellerin für die Apfelküchin zu geben?» Frau Kellerhans blieb am Ball und versuchte es mit Sächlichkeit: «Gerne sei dir das Geschirr fürs Backerzeugnis gereicht – bedarf es auch noch eines Aufspiesswerkzeugs?»
Während die beiden albern rumglucksten, versuchte Frau Griesmeier, etwas Ernsthaftigkeit ins Spiel zu bringen: «Wenn jemand von ‹Bernern› spricht, verstehe ich darunter weiterhin ‹Menschen, die in Bern leben›, nicht nur Männer.» Frau Iseli wollte gerade einwenden, dass dies die Sache, nach Schiller zu urteilen, auch nicht wirklich besser mache, als ihr klar wurde, dass sie sich damit vollends ins Abseits gestellt hätte. Frau Griesmeier interpretierte die Stille als Interesse an ihren Ausführungen und fuhr fort: «Wäre es nicht das Einfachste, das weiblichkeitsspezifizierende ‹-in› abzuschaffen? Konsequente Gleichbehandlung hiesse doch, dass gar nicht unterschieden wird, ob Mann oder Frau gemeint ist.»
Doch weil Frau Schellenberger inzwischen von ihrer Sitzgelegenheit gerutscht war und beatmet werden musste, wurde die Brillanz dieser Idee leider nicht erkannt – und die Menschheit einmal mehr um eine simple, aber effiziente Problemlösung betrogen.
Autor: Iwon Blum, 09. Juni 2010, Beobachter 12/2010