Vom Leben gezeichnet

Wie ich darauf komme, dass mein Kater Sahib in einem früheren Leben abstrakter Künstler war – und warum ich jetzt als Leinwand herhalten muss.

Eine schöne, fette Spinne hätte es werden sollen, so zirka fünf Zentimeter Durchmesser, auf meinem linken Unterarm. So hatte ich mir das gedacht, als ich im Alter von 18 mit einer Tätowierung liebäugelte. Aber ich traute mich dann doch nicht. Heute bin ich darüber nicht unglücklich, denn jetzt trage ich zwar keine eintätowierte Spinne mit mir herum, dafür zieht sich etwas, das nach einem zerfetzten Spinnennetz aussieht, quer über meinen linken Unterarm – ich nenne es liebevoll mein «Bio-Tattoo»; Urheber: Kater Sahib, Status: unvollendet.

Sahib hat seine eigene Methode, mich sonntagmorgens aus dem Bett zu scheuchen – und die hat über die letzten zehn Jahre ihre Spuren hinterlassen. Während drei von fünf meiner Katzen einfach lauthals losmiauen, wenn sie so gegen halb sechs in der Früh der Meinung sind, ich solle sie endlich füttern, und Mogwai mir in Ermangelung einer brauchbaren Stimme spätestens um sieben Uhr in den grossen Zeh beisst, bleibt Sahib zunächst sehr cool. Er schläft nachts meist neben meinem Kopfkissen im Bett. Der gute Kater würde mich im Gegensatz zu seinen vier Kollegen nie aus dem Tiefschlaf reissen, aber er spürt instinktiv, wenn mein Bewusstsein morgens anfängt, die Fühler vorsichtig Richtung Wachzustand auszustrecken. Das ist dann der Moment, in dem er seine rechte Pfote in meinen linken Pyjamaärmel schiebt – dann hab ich noch ziemlich genau zwei Minuten, bevor er die Geduld verliert.

Denn als Nächstes fährt er auf meinem Arm die Krallen aus – zunächst «behutsam» nur ein bisschen. Zeigt das allerdings nicht die gewünschte Wirkung, beginnt er in fast schon sadistischer Gelassenheit, seine Pfote langsam meinem Arm entlang zu sich zurückzuziehen, wobei er seine Krallen ganz beiläufig immer tiefer in mein Fleisch treibt – noch bevor er meinen Handrücken erreicht, habe ich mich schreiend im Bett aufgesetzt. Effizient. Das muss man ihm lassen. Und je nachdem, wie reaktionslahm ich noch war, ziehen sich regelmässig blutende Striemen über meinen linken Arm. Diese frischen Kratzer kombiniert mit verblassten Narben und meiner rot gesprenkelten Sonnenallergie ergeben mitunter sehr interessante grossflächige Muster, die manchmal fast schon einen gestalterischen Willen erkennen lassen. Wenn auch einen ziemlich irren Willen.

Darum war ich auch ganz froh, dass immerhin mein rechter Unterarm bis vor einem halben Jahr vergleichsweise unversehrt geblieben war. Bis Katze Shakti zur Familie stiess. Warum Shakti mir beinahe den rechten Arm abriss, und wie ich das trotz grossem Blutverlust gerade mal so knapp überlebte, erfahren Sie im nächsten Artikel: Blut und Tränen

Autor: Iwon Blum, 23. Jun 2009, beobachter.ch