«Kamikatze»-Blog

Was Katzen mit Kindern und Ausserirdischen gemeinsam haben

1,4 Millionen Katzen sind in der Schweiz zu Hause. Fünf davon leben in einer Wohnung in Zürich und offenbaren ihrer Halterin, was sie mit Kindern und Ausserirdischen gemeinsam haben.

Text: Iwon Blum, 14. Mai 2009, Beobachter 10/2009

Katzen schaffen es, in praktischer Hinsicht vollkommen unnütz zu sein und trotzdem von Menschen umsorgt und betütelt zu werden. | Bild: Pixabay

Wenn mich morgens der Wecker aus dem Schlaf reisst, starren mich aus der Dunkelheit fünf Augenpaare an – also eigentlich nur viereinhalb, doch dazu später. Ich sehe sie zwar nicht. Aber ich weiss es. Und ich höre Stimmen. Zunächst nur leise, bezirzend, aber klar in der Botschaft: «Füttere uns. Tu es. Du hast den dringenden Wunsch, uns jetzt zu füttern.» Während ich schlaftrunken noch damit beschäftigt bin, mein Bewusstsein fürs Jetzt zurechtzuzupfen, wird die Ansage aus den Tiefen des Universums deutlicher: «Nun mach mal vorwärts, Mensch: aus dem Bett, Dosen öffnen, Inhalt in Näpfe abfüllen – wie schwer kann denn das sein?»

Und so weiss ich jeweils wieder, wozu ich jeden Morgen aufstehe.

Ich finde meine Katzen grossartig. Dass ich aber fünf von diesen kleinen Naturgewalten habe, war eigentlich ein Unfall. Angefangen hat es mit den zwei Katern: dem schwarzen 7,5-Kilo-Teddy, der etwas aus der Schnauze riecht, und dem braun-weiss gescheckten Irren mit seiner Staubsauger- und Gewitterphobie. Fast zehn Jahre lang fristete ich mit Nr. 1 und 2 ein vergleichsweise beschauliches Dasein.

Doch dann wurden sie alt: So ist Kater Nr. 1 nun schon 19, und das bereits seit drei Jahren, weil der Tierarzt sagt, der könne gar nicht älter sein als 19, dafür sei er zu fit. Wobei «fit» ein bisschen relativ ist. Der Kater fällt nämlich langsam auseinander: Fellbüschel, Zähne, Krallen – alles lässt er irgendwo liegen.

Als zudem bei Nr. 2 vor zwei Jahren im Alter von 16 eine schwere Nierenkrankheit festgestellt wurde, hiess es, er habe noch maximal ein Jahr zu leben. Wie man heute weiss, war zumindest das «maximal» an der Prognose falsch.

Doch vor gut zwei Jahren dachte ich, dass ich nun kurz davorstehe, mindestens eine Katze verabschieden zu müssen, und beschloss daher, eine dritte dazuzuholen, damit wenn eine abtritt, keine einsam ist.

Zu jenem Zeitpunkt schien mir das ein brillanter Plan.

Über eine Organisation, die misshandelte Strassenkatzen aus Spanien in die Schweiz vermittelt, kam also vor anderthalb Jahren Katze Nr. 3 ins Haus: eine damals einjährige Mini-Tigerdame, die ein ausgerenktes steifes Bein hat, seit man sie daran festgehalten hatte, um sie kopfvoran gegen eine Wand zu hauen. Ihre Gehbehinderung ist jedoch vergessen, wenn sie jeweils nach dem Verzehr von rohem Fleisch wie ein beklopptes Eichhörnchen durch die Wohnung rast. Ich bin sehr glücklich, dass sie nun bei mir ist, wo sie garantiert keiner gegen irgendwelche Wände schlägt.

Nicht ganz so entzückt waren jedoch die beiden Kater, die den Neuankömmling prompt mobbten, was meinen Plan in der Praxis etwas ruinierte, denn nun war die süsse behinderte Babykatze einsam. Konsequenterweise musste also eine vierte her, um der dritten Gesellschaft zu leisten.

So kam Nr. 4 ins Haus: eine knapp dreijährige Grautigerkatze, ebenfalls aus Spanien, Typ hysterische Sphinx, die bestimmt auch eine schwere Kindheit hatte: Was die mit Zimmerpflanzen macht, würde jeden Botaniker in tiefe Trauer stürzen.

Mittlerweile kommen aber immerhin alle vier Katzen sehr gut miteinander klar, und so sollte das Rudel nach meinem Willen komplett sein.

Doch dann funkte das Schicksal dazwischen: Vor einigen Monaten erfuhr ich ganz ungewollt von einem weiteren spanischen Katzennotfall. Zwar scheute ich mich zunächst, die magische Vier-Katzen-Grenze zu überschreiten. Doch dann meinte jemand: «Ob nun vier oder fünf ist ja nun auch schon egal. Du spinnst doch sowieso.»

Also holte ich diese unterernährte, kranke Tigerkatze auch noch dazu. Sie hat nur noch ein Auge. Aber damit kann die süss gucken – unglaublich. Und so waren es halt plötzlich fünf.

Ein Umstand, den ich übrigens bislang lieber für mich behalten habe. Menschen sagen nämlich seltsame Sachen, wenn man sich als fünffache Katzenhalterin outet: «Fünf Katzen? Aha. Etwas verschroben, was? Und wahrscheinlich keine eigene Familie, oder?» – Hä? Natürlich hab ich eine eigene Familie: Vater, Mutter, Bruder, Onkel, Tanten, Cousinen und was man halt so hat. Ich habe sogar eine recht grosse «eigene Familie».

Wenn gemeint ist, dass ich keine Kinder habe – so weit, so korrekt. Aber davon auszugehen, dass mir die Katzen Kinder ersetzen sollen, ist so trivialpsychologisch wie undifferenziert: Katzen sind keine kleinen Menschen. Bei Kindern fruchten Erziehungsversuche manchmal, bei Katzen nie. Bei Kindern ist die Pubertät irgendwann vorbei, Katzen haben ihr ganzes Leben lang einen Knall.

Ausserdem kann ich rechnen: Würde ich in meinen Katzen einen Ersatz für Kinder sehen, hätte ich laut Statistik ja nur 1,4 und nicht fünf.

Die Zahl 1,4 ist in diesem Zusammenhang übrigens verblüffender als man vielleicht zuerst denkt: Das ist ja die aktuelle Geburtenziffer – so viele Kinder gebärt statistisch gesehen jede Frau in der Schweiz. 1,4 ist aber auch die Anzahl Millionen Katzen, die im Moment offiziell in der Schweiz leben. Interessant. Nicht?

Mathematisch interessant ist auch der Umstand, dass vier Katzen irgendwie nicht viel mehr zu sein schienen als drei, fünf jedoch wesentlich mehr sind als vier. Meine Freizeit zum Beispiel ist mittlerweile im eigentlichen Sinne komplett für die Katz: Haarbällchen einsammeln, Katzenklos säubern, streicheln, spielen, füttern, spielen, streicheln, putzen – und wenn ich dann abends nudelfertig ins Bett sinken möchte, hat sich bereits eine zufrieden schnurrende Katzenmeute darin breitgemacht. Der Schriftsteller Ernest Hemingway soll ja zeitweise 150 Katzen gehabt haben. Ich weiss nicht, wo der geschlafen hat. Und ob Hemingway wirklich einen derart ausgeprägten Kinderwunsch hatte?

Katzen und Kinder haben ja tatsächlich doch auch einige Gemeinsamkeiten: Etwa die Eigenart, sich auf den Boden zu werfen und zu quietschen, wenn sie nicht bekommen, was sie haben wollen. Oder partout etwas anderes essen zu wollen als das, was man ihnen vorsetzt. Beide machen zudem recht viel Dreck und sind manchmal ein freches Pack. Und beide liebt man; zumindest die eigenen. Aber Kinder zahlen irgendwann AHV-Beiträge. Katzen hingegen schaffen es, in praktischer Hinsicht vollkommen unnütz zu sein und trotzdem von Menschen umsorgt und betütelt zu werden. Ich meine: Klar sind Katzen knuffig, aber entschädigt das für zerkratzte Möbel, zerfetzte Vorhänge und vollgepinkelte Blumentöpfe? Ja. Das tut es. Aber warum?

Ich habe da eine These: Katzen sind heimatlose Ausserirdische, die uns durch Hypnose dazu bringen, sie auf der Erde mitdurchzufüttern. Haben Sie schon mal einer Katze tief in die Augen geschaut? Dann wissen Sie, was ich meine. Und wer Katzen gegen Wände haut, einäugig macht oder sonstwie schlecht behandelt, wird eines dunklen Tages von einem riesigen Raumschiff eingesammelt und in einer weit entfernten Katzenklo-Galaxie als Streueinlage benutzt. Das hat er dann davon. Und sollte ich nun das Vorurteil, Katzenhalterinnen seien halt etwas seltsam im Kopf, weiter zementiert haben – wer Katzen kennt, ahnt zumindest, dass ich recht habe.





Katzennamen und ihre Tücken
Natürlich haben die Katzen in diesem Text auch Namen. Katzennamen sind jedoch genau wie ihre Träger ein wenig speziell. Inwiefern und wie die Katzen denn nun heissen, können Sie hier nachlesen: Katzennamen und ihre Tücken.

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