Wieso mit sturen Katzen nicht zu spassen ist. Wirklich überhaupt nicht.
Blutüberströmt kam ich in der Praxis an und klammerte mich an den Empfangstresen. Die junge Dame dahinter blickte auf, ihr Gesichtsausdruck verblüfft: «Sind Sie sicher, dass Sie hier richtig sind? Geht es Ihnen gut?» Ja, nein, also doch, erwiderte ich etwas überfordert, das sei schon richtig, ich hätte vor einer Woche einen Termin vereinbart. Als die Tierarzthelferin beim Anblick der blutverschmierten Katzentransportkiste ganz blass wird, beruhige ich sie: «Keine Sorge, das ist alles meins, dem Tier geht es soweit gut. Aber etwas Merfen für mich wäre nett.»
Katzen sind ja etwas ganz Bezauberndes: Schön, süss, stolz – und mitunter stur bis zur Verbohrtheit. Wenn eine Katze nicht will, dann will sie nicht. Meine Katze Shakti zum Beispiel schätzt es nicht, hochgehoben zu werden. Normalerweise respektiere ich das. Aber wenn ich sie in eine Transportkiste setzen muss, geht es nunmal nicht anders. Zumal sie Transportkisten noch mehr hasst, als hochgehoben zu werden, und daher im Leben nicht freiwillig in so ein Ding reinlaufen würde. Den ersten Tierarzttermin hatte ich denn auch absagen müssen: Ich bekam die Katze einfach nicht transportfähig. Also schickte mir der Tierarzt vor dem zweiten Termin eine Beruhigungstablette, auf dass ihr Widerstand auf ein brechbares Mass reduziert werde. Die Katze ist aber nicht doof – als ich am fraglichen Tag mit der Pille ankam, merkte sie sofort, dass da was läuft.
Da stand ich nun mit meiner blöden Tablette vor einer finster blickenden Katze, die beschlossen hatte, das Teil unter gar keinen Umständen zu schlucken. Der Tierarzttermin rückte unerbittlich näher. Ich überdachte Alternativstrategien: Trichter? Durchs Nasenloch hochschieben? Ins Ohr werfen? Als die Zeit langsam richtig knapp wurde, besann ich mich auf das Recht des Stärkeren: Ich beschloss, sie halt doch ohne Betäubung in die Kiste zu packen. Was folgte, war wenig ruhmreich für mich und lief etwa so ab:
Ich – leicht gebückt – gehe langsam auf Shakti zu, flöte dabei in meiner zuckrigsten Stimmlage etwas, das ich für beruhigend halte. Shakti sieht darin jedoch eine Aufforderung zum Kampf: Ihr Blick fixiert den meinen. Vorerst geht sie auf Halbdistanz, weicht Schritt für Schritt zurück, gleichfalls leicht geduckt. Ich breite in Zeitlupe meine Arme aus, will sie in die Zimmerecke drängen. Shakti bleibt kurz stehen – macht eine Finte nach rechts, um dann pfeilschnell links an mir vorbeizuziehen. Ich – ZACK – werfe mich ihr in den Weg, schlage dabei unsanft auf dem Boden auf. Shakti zuckt zurück, springt dann über mich drüber und rast über den Parkett schlingernd in ein anderes Zimmer.
Ich rapple mich auf, justiere meine ausgerenkten Knochen und folge ihr. Shakti hat sich nicht etwa verkrochen: Breitbeinig steht sie mitten im Raum, wiegt sich leicht hin und her wie ein Boxer, bereit für den Infight. Wieder gehe ich langsam auf sie zu, wieder weicht sie Schritt für Schritt zurück. Als sie realisiert, dass direkt hinter ihr die Wand ist, guckt sie erst mich an, dann die Transportkiste neben der Tür – und entschliesst sich zur Attacke: Sie macht einen grossen Satz direkt auf mich zu, ich bekomme sie kurz zu fassen, sie aber windet sich aus meinem Griff, hackt mit einem wuchtigen Rechtsausleger ihre Krallen in meinen rechten Arm, zieht sich – sehr zu meinem Leidwesen – daran hoch, um über meine Schulter auf den Türrahmen zu springen. Der aber bietet nicht genug Halt, sie fällt herunter – direkt in die oben offene und glücklicherweise weich gepolsterte Transportkiste. Noch bevor sie wieder auf die Beine kommt, hechte ich zur Kiste und klappe den Deckel zu.
Nach Atem ringend betrachtete ich das Ergebnis meiner Bemühungen: Die Wohnungseinrichtung verwüstet, mein rechter Arm sah aus, als hätte ich in einen Aktenshredder gefasst, auch mein Gesicht hatte einiges abbekommen, und in der Transportkiste miaute meine Katze in Todesangst. Letzteres brach mir fast das Herz. Doch in dem Moment war ich die Allerletzte, von der Shakti hätte getröstet werden wollen. Nachdem ich meinen Arm notdürftig mit einem Handtuch verbunden hatte, trug ich eine wirklich zornige Shakti zum Taxi und sinnierte darüber, welch feige Stümper Fakire sind: Statt auf einem wehrlosen Nagelbrett rumzutrampeln, sollen die sich doch mal eine panische Katze um den Hals hängen – das wäre wahrhaft todesmutig.
Shakti konnte beim Tierarzt übrigens – unter Narkose – erfolgreich behandelt werden. Es geht ihr gut. Und ich hoffe nicht nur aus Liebe zu ihr, dass das so bleibt… Aber falls jemand einen Tipp hat, wie man eine Transportkisten-Phobikerin ohne Totalschaden an Einrichtung, Mensch und Tierpsyche zum Arzt verfrachten kann, wäre ich dankbar für jeden sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag: Shakti mag ihre Transporttasche
Ich hielt mich an den Tipp, verschiedene Transporttaschen und -boxen dekorativ ins Gesamtbild der Wohnungseinrichtung zu integrieren und täglich Leckerli in die Dinger zu werfen. Nachdem Shakti diesem Treiben wochenlang zugesehen hatte, ohne mit dem Schnurrhaar zu zucken, entschied sie sich schliesslich mal nachzuschauen, wo all die Leckerli verschwunden sind. Mittlerweile schläft sie sogar manchmal in einer der Taschen. Nun arbeiten wir noch daran, dass sie termingerecht auch dann reingeht, wenn ich es für nötig halte…
Autor: Iwon Blum, 14. Mai 2010, beobachter.ch
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